Berichte

Vortragsabend

12.11.2022 18:36
Kammerlander_Vortrag   Bild © Robert Renner

Bericht aus dem Weißenburger Tagblatt:

Hans Kammerlander ist ein wunderbarer Erzähler. Mit sanfter Stimme spricht er. Ganz ruhig ist er  dabei, selbst wenner gerade die tragischsten Momente seines Lebens schildert. Friedl Mutschlechner, einer seiner besten Freunde, wurde am 8163 Meter hohen Manaslu unmittelbar neben ihm im Schneesturm von einem Blitz erschlagen. Nur wenige Stunden zuvor hatte die Expedition Carlo Großrubatscher verloren, der sich im Nebel verirrt und eines ihrer Lager verpasst hatte und erfroren war.
Angespannt-faszinierende Stille herrschte bei seinen Erzählungen im Kulturzentrum Karmeliterkirche. Dorthin eingeladen hatte ihn die Sektion Weißenburg des Deutschen Alpenvereins (DAV) anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens. Bei der Suche nach einem namhaften Referenten war im Vorstand schnell der Name Hans Kammerlander gefallen, berichtete Vorsitzender Dieter Wirth.
Kein Wunder, hat doch kaum ein anderer Extrembergsteiger ein Leben mit solchen Höhen und Tiefen hinter sich. Und kaumeiner stellt sein extremes Tun am Berg auch so infrage, wie dies Kammerlander tut. Auch wenn er „Bergsüchtig“ ist, wie der Titel seines Vortrags verrät, hat sich der heute 65-Jährige längst aus dem Wettlauf mit anderen Extrembergsteigern zurückgezogen. Immer wieder stellte er denn auch in seinem Vortrag die Frage nach dem Sinn seiner Aktionen.

Bereits als Jugendlicher hatte er ohne jegliche alpinistische Ausbildung waghalsige Touren in den Dolomiten unternommen, die er rückblickend als „kriminelle Aktionen“ einstuft. Wenn er damals „eine Fliege verschluckt hätte, hätte ich mehr Hirn im Bauch als im Kopf gehabt“, meint der Südtiroler schmunzelnd, der als jüngstes von sechs Kindern auf einem Bergbauernhof in Sand in Taufers aufwuchs. Als er zehn war, starb seine Mutter.
Er legte sehr früh die Berg- und Skiführerprüfung ab, arbeitete für den Bergrettungsdienst in seiner Heimat und war 15 Jahre Leiter der Alpin-Schule Südtirol. Er betrieb Berglauf wettbewerbsmäßig, absolvierte 50 Erstbegehungen in den Alpen und eine Vielzahl von Alleinbegehungen. Kammerlander stand auf zwölf der 14 Achttausender im Himalaja und Karakorum, als erster Mensch fuhr er mit Skiern vom Gipfel des 8125 Meter hohen Nanga Parbat ab. Ein paar Jahre später tat er das Gleiche am Mount Everest. Mit Reinhold Messner gelang ihm am Gasherbrum die erste und bis heute einzige Doppelüberschreitung zweier Achttausender. Sein letztes Projekt, das er 2012 abschloss, war die Besteigung der Seven Second Summits, der jeweils zweithöchsten Berge aller Kontinente.
Seit rund zehn Jahren steht für ihn aber „die Schönheit der Berge“ und des Alpinismus im Vordergrund, erzählt er. Doch die Abenteuer wurden trotzdem nicht weniger, und so mancher im Saal der Karmeliterkirche fragte sich sicherlich: Wie machte und wie macht der Mann das? Und wie hat er all das ausgehalten?

Zwei Anrufe waren in seinem Leben entscheidend. Beim ersten war Reinhold Messner am anderen Ende der Leitung. Er lud ihn zu einer Winterexpedition zum Cho Oyu mit 8188 Metern Höhe ein. „Ich war sehr stolz, ich war sein Partner“, macht Kammerlander deutlich. Unmengen von Schnee verhinderten aber die Gipfelbesteigung. Messner lud Kammerlander zu einem weiteren Versuch ein Jahr später ein, der dann von Erfolg gekrönt war. Kammerlander stand erstmals auf einem Achttausender. Die beiden sollten noch sechs weitere besteigen.
Der Alpinist war nicht mehr zu bremsen. „Ich war klettersüchtig“, sagt er heute. Eine Extremtour nach der anderen bewältigte er, stets enormen Gefahren ausgesetzt. Am Lhotse (8516 Meter) holte er sich Erfrierungen im Gesicht und an den Füßen, ebenso am Kangchendzönga. Am Nanga Parbat, als ihm die erste komplette Abfahrt von einem 8000er-Gipfel überhaupt gelang, brach direkt unter seinen Skiern ein gewaltiges Schneebrett weg. „Man sollte das nicht zu oft machen, das Restrisiko ist zu groß“, meint er dazu heute. „Wenn Du da einen Fehler machst, einen kleinen, dann hast Du keine Zahnschmerzen mehr.“

Oder die Erlebnisse im Mai 1991 am Manaslu, seinem Schicksalsberg. „Brutaler kann‘s nimmer zugehen, da kam alles zusammen.“ Als der Blitz Mutschlechner tötete, waren die beiden Bergfreunde gerade einmal 100 Meter oberhalb ihrer Zelte. Kammerlander grub sich zunächst im Schnee ein, um Schutz zu suchen, dann krabbelte er im schweren Sturm auf allen Vieren zum Zelt, von wo er per Funk den Tod des Kameraden ins Lager meldete. „Da bist Du in einem Schockzustand“, kommentiert er die Szenerie, die er in seinem Vortrag mit Aufnahmen aus dem Kinofilm „Manaslu – Berg der Seelen“ unterlegte.

Nach diesen Schicksalsschlägen stand für Kammerlander fest: „Die Berge werden mich nie mehr sehen.“ Es sollte anders kommen. Telefonanruf Numero zwei. Diesmal war sein Patenkind dran, ihm hatte er versprochen, ihn auf den Zwölferkogel zu bringen. Er stand im Wort: „Ich bin mit ihm mit, das war richtig gut so“, sagt er. Denn er habe das Gefühl gehabt, den letzten Rest seiner Kindheit am Manaslu verloren zu haben. Nun aber lernte er: „Der Berg ist doch nicht Dein Feind.“
Jahre später sollte er zur Versöhnung tatsächlich auch zum Manaslu zurückkehren. „Ich hätte eigentlich gleich im Jahr danach hingesollt. Aber ich habe zu sehr den Kopf in den Sand gesteckt“, gesteht er. Kammerlander hat daraus gelernt: „Nach Rückschlägen aufrichten und kerzengerade nach vorne weitergehen.“

Und so wirkt er heute auch: Er strahlt Gelassenheit, Ruhe und Freundlichkeit aus, lässt sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als am Anfang seines Vortrags die Technik versagt. Er signiert freundlich an seinem Büchertisch, hört seinem Gegenüber zu und hält den einen oder anderen netten Plausch.
Möglicherweise hat er die Gelassenheit aus Nepal mitgebracht, seiner „Fastheimat“, wie er sagt, wo er in diesem Jahr schon dreimal war und demnächst wieder hinreist. Sein „Herzensprojekt“ betreibt er mit der Nepalhilfe Beilngries. 28 Schulen und Kindergärten wurden bereits gebaut, zwei Schulen tragen Kammerlanders Namen. „Es gibt so viel zurück. Das ist vom Gefühl her wesentlich schöner als jeder Berg“, sagt der Südtiroler.

Und beim Trekking in Nepal erlebe er „Gipfelglück pur“. Zuvor sei er „sehr getrieben“ gewesen, „sehr am Limit, immer mit hohem Restrisiko“. Kammerlander sagt: „Teilweise war es zu viel.“ Auch wenn er immer noch Ziele habe. Von den „Matterhörnern dieser Welt“, also Bergen, die diesem ähnlich sehen, habe er noch nicht alle bestiegen.
Wenn er bei solchen Touren den Gipfel erreiche, sitze er da und sei glücklich. „Und das ist ja auch der Sinn von Bergen“,meint Kammerlander, der bei Nachfragen aus dem Publikum in der Karmeliterkirche auch sagte: „Dieses Extrembergsteigen ist eigentlich ein Quatsch.“ Der Preis und die Verluste seien „viel zu hoch“ gewesen.

Als „wahrscheinlich größten Erfolg sieht der Südtiroler etwas anderes an: „Mir tut nichts weh, kein Knie, kein Rücken, kein Finger. Wenn das nicht ein großes Geschenk ist, dann weiß ich es nicht.“

Text: Robert Renner

 

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